Blicken wir zunächst nach Peru, in das Zentrum des ehemaligen Inka-Reiches, in dem zur Blütezeit mehr als 9 Millionen Menschen lebten. Es erstreckte sich über eine Länge von etwa 4.500 km vom heutigen Kolumbien bis nach Chile. Die Inka schufen bereits in vorkolumbischer Zeit ausgedehnte Straßensysteme, die das gesamte Reich miteinander verbanden, monumentale Steingebäude sowie ausgedehnte Bewässerungssysteme, die den Terrassenanbau unzähliger Nutzpflanzen bis in Höhen von über 4.000 m ermöglichten. Sie waren zudem führend in zahlreichen Handwerks- bzw. Kunstformen und sozial wie politisch bereits äußerst komplex organisiert. 1532 landete Francisco Pizarro mit nicht einmal 200 spanischen Soldaten an der Küste Perus und eroberte binnen weniger Jahre das Inka-Reich. Die imposanten Bauwerke wurden verlassen, zerstört oder gerieten in Vergessenheit. Mehrere Millionen Menschen starben an den Folgen von Kriegen, Hungersnöten und Krankheiten. Ganz ähnliche Entwicklungen lassen sich auch bei anderen Hochkulturen beobachten, wofür die Azteken und Maya ein Beispiel geben.
Andere traditionelle Gesellschaften wiederum lebten bis weit ins 20. Jahrhundert fast ohne Kontakt zur Außenwelt und konnten ihre traditionelle Kultur weitgehend bewahren. Wie war dies möglich? Welche konkreten Umstände und Entscheidungen führten zum Untergang bzw. Überleben dieser Gesellschaften? Und was können wir heute aus den Erfahrungen traditioneller Gesellschaften im Umgang mit Krisensituationen lernen?
Stellen wir hochentwickelten Zivilisationen wie den Inka, Maya oder Azteken kleine, lange Zeit als primitiv beschriebene Gruppen aus dem Amazonasgebiet oder Hochland Neuguineas gegenüber, so machen wir eine erstaunliche Entdeckung.
Nicht die scheinbar mächtigen und großen Organisationen zeigten sich besonders widerstandsfähig, vielmehr waren es die kleinen, meist nur wenige Dutzend bis maximal 200 Personen umfassenden Gruppen, die dem Druck von außen erfolgreich standhielten. Sie zogen sich in die unzugänglichen Regionen des Regenwaldes zurück, zeigten sich mobil und flexibel und passten sich ihrer Umwelt an. Den Inkas und Azteken hingegen wurden ihre komplexe Organisation und die geschaffene Infrastruktur zum Verhängnis. Ihre Feinde nutzten die vorhandenen Strukturen und unterwarfen die Großreiche innerhalb kürzester Zeit.
Die Nachkommen der Inka, Maya und Azteken entwickelten im Laufe der Jahrhunderte eine andere Überlebensstrategie, den für Lateinamerika so typischen Synkretismus. Hinter europäischen Bräuchen und katholischen Heiligen platzierten die indigenen Bevölkerungsgruppen von Mexiko bis Chile ihre eigenen Werte und Glaubensvorstellungen. Auf diese Weise gelang es ihnen, große Teile ihrer traditionellen Kultur zu erhalten und über Jahrhunderte weiterzugeben.
Was können nun moderne Organisationen und Unternehmen daraus lernen?
Nicht immer sind es die großen und besonders komplexen Gebilde, die am besten für Krisensituationen gerüstet sind. Flexibilität, Mobilität und nicht zuletzt Kreativität erhöhen die Chance, sich dauerhaft zu behaupten. Die größten Überlebenschancen haben letztlich Organisationen, die den notwendigen Wandel aktiv und innovativ gestalten und auf eine Balance zwischen der Bewahrung identitätsstiftender Werte und der Adaption neuer Kulturelemente setzen. Wer fortwährend an seiner Unternehmenskultur arbeitet und deren Bedeutung erkennt, wird auch für schwierige Situationen gut gerüstet sein. Nichtstun und Abwarten hingegen ist keine adäquate Lösung, weder zu Zeiten der Inka noch heute.